Erziehungsturbulenzen

03.02.2016


Hier kommt Marlene mal zu Wort

Als Baju zu uns kam, war er ein total niedlicher kleiner Kromfohrländerwelpe. Er lernte schnell und wir hatten viel Spaß miteinander. Nach und nach wuchs der kleine Kerl zu einem Teenie und zu einem richtigen Rüden heran.

Wir haben von Anfang an Vieles versucht richtig zu machen. Die Hundebücher waren gewälzt, wir hielten uns an viele der Anweisungen, die man dort empfahl, um das Mensch-Hund-Machtgefüge zu Gunsten des Zweibeiners zu verschieben. Welpenschule und Junghundegruppen standen auf dem Programm und wurden regelmässig besucht.  Wir wussten nicht so recht warum, doch es störte uns irgendetwas bei diesen Hundetreffen. Wir wechselten den Verein und es wurde nicht wirklich besser. Erst später erkannten wir, dass dort nicht alle Hundebegegnungen optimal verliefen. Statt Spielerei bedrängten sich die Hunde teilweise, wir konnten das (noch) nicht erkennen und die Hundetrainer waren offensichtlich nicht ausreichend geschult.

Ebenso hatten wir, ohne es zu wissen, eine Lücke in Bajus Entwicklung geschlagen. Baju kam kurz vor Weihnachten zu uns. Natürlich kümmerten wir uns sofort darum mit ihm zur Welpenstunde zu gehen. Doch über die Feiertage bis Mitte Januar fielen diese Kurse aus. Später haben wir von guten Trainern erfahren, dass sie die Welpenkurse max. für 1 Woche aussetzen, weil die Hundebegegnungen gerade in dieser Entwicklungsphase so wichtig für die Kleinen sind. Baju brauchte später ein wenig länger, um dieses Defizit wieder aufzuholen.

Baju reifte heran und sein eigener Wille wurde immer deutlicher. Ich versuchte eine gute Hundeschule zu finden, was mir nicht gelang. Die Schulen boten eigene Welpengruppen an und beschäftigen sich später mit den Hunden, die diese Gruppen auch besucht hatten. Trotz mehrfachen Versuchen, bekam ich keine Antwort oder wurde abgewiesen. Erschwerend kommt hinzu, dass meine Arbeitszeiten sich mit den Trainingszeiten der Hundeschulen oft überschneiden und ich die wenigen Angebote aus zeitlichen Gründen nicht nutzen konnte.

Endlich fand ich eine qualifizierte Trainerin, die während Bajus Pubertät noch mit uns arbeitete. Wir lernten einige gute Verhaltensweisen kennen. Leider mussten wir uns von dieser Trainerin wieder verabschieden, denn ältere Hunde trainiert sie nur, wenn sie echte Problemfälle sind. Das ist Baju nicht. Er agiert im normalen biologischen Repertoire.

Genau das wuchs sich langsam zum Problem für uns aus. Meine heutige Trainerin erklärte es so: Baju wird erwachsen und schaut nun nicht mehr wie ein Welpe zu Mama und Papa auf, sondern will selber entscheiden.

Tja, das war gar nicht mehr so lustig. Bei jeder Gelegenheit gebärte sich Baju wie ein wildes, kleines, bellendes Ungeheuer und ich wusste nicht, wie ich es bändigen sollte. Zunächst reizten ihn nur die Rüden, dann fast jeder Hund, dann kamen Bewegungsreize hinzu, die ihn früher überhaupt nicht gestört haben. Mofas, Skateboards und Co. bewirkten ein zappelndes, lautes Wesen am anderen Ende der Leine. Die Verhaltensweisen, die ich bei der ersten guten Trainerin gelernt hatte, erreichten Baju nicht mehr, weil sie sich auf das Verhaltensrepertoire eines Welpen bezogen.

Von allen Seiten erreichten uns gut gemeinte Verhaltensvorschläge, die ich ohne durchschlagenden Erfolg ausprobierte. Das Gefühl zu versagen machte sich langsam breit. Andere Hunde und Kromibesitzer hatten doch nicht solche Schwierigkeiten! Dachte ich zumindest. Es half auch wenig zu hören, dass die Neubesitzer die Welpen so niedlich finden, dass sie sie nicht richtig erziehen und später wundern sie sich, dass der Terrieranteil zum Vorschein kommt. Wir hatten doch alle möglichen Verhaltensanweisungen angenommen und waren dabei sehr konsequent. Baju durfte nicht ins Bett und auf die Couch, musste nach uns aus dem Haus gehen, vor uns ins Haus, ich versuchte ihn beim Spaziergang mit seiner Schulter neben mir zu halten, sein Körbchen steht in einer Ecke, aus der er den Raum nicht überblicken kann, er bekam kein Futter vom Tisch usw. Vieles davon war für das Verhältnis zwischen Baju und mir und sein allgemeines Verhalten völlig überflüssig. Das im Zusammenhang mit der Kromfohrländer - Erziehung gern genutze Wort "Konsequenz" half mir überhaupt nicht weiter, machte mich ratlos, weil ich doch konsequent war!

Gespräche mit unserem Rüdenbeauftragen des RZVs der Kromfohrländer Robert Bialy halfen ein wenig diese Zeit zu überstehen. Sie machten mir nicht nur Mut noch einmal verstärkt nach einem Trainer zu suchen, sondern mich auch gegen die an uns immer wieder herangetragene (Chip-)Kastrierung Bajus zu entscheiden.

Zur Kastration, ob chemisch, mit Chip oder per OP sollte man man Folgendes wissen:

Die Beeinflussung des Hormonhaushaltes ist sowieso eine heikle Angelegenheit. Findet sie früh in der Pubertät und Adoleszens statt, könnte man sie allerdings schon fast als sträflich bezeichnen.  Während der Umstellung des kompletten hormonellen Systems und während der Neustrukturierung der nervlichen Verbindungen im Gehirn, die vom Hormonsystem mitgesteuert wird, greift man durch die hormonelle Beeinflussung massiv in diese komplexen Vorgänge ein.  Man kann eigentlich nur von Glück sprechen, wenn ein so früh gechipter Hund von späteren Erkrankungen verschont bleibt, dessen Grundlage man in dieser Zeit mit dem hormonellen Eingriff legt.

Es ist unter den Hundehaltern wenig bekannt, dass Testosteron neben anderen Aufgaben im Hormoncocktail mit für die Beruhigung des Hundes sorgt. Leider fehlt das Hormon bei gechipten oder kastrierten Hunden fast völlig.

Es gibt weitere Nebenwirkungen, wie ein zu weiches Fell und Gewichtszunahme. Alles soll hier gar nicht aufgeführt werden.

Die negativen Wirkungen gelten übrigens auch für kastrierte Hündinnen.

Ich hatte eine ziemliche Aversion gegen die hormonelle Beeinflussung, obwohl mir diese genauen Zusammenhänge nicht klar waren und schob eine Chipkastration immer weiter hinaus, bis ich mich endgültig dagegen entscheiden konnte.

 

Als ich dann endlich, nach eineinhalb Jahren der Suche, unsere jetzige Trainerin fand, bestätigte und begründete sie meine Vermutungen, dass eine Kastration, egal, wie sie durchgeführt wird, großen und nicht immer positiven Einfluß auf die Entwicklung eines Hundes nehmen kann. Unsere Trainerin ist ganz neu im Geschäft, aber ein absoluter Glücksgriff mit fundiertem Wissen nach aktuellem Forschungsstand! Sie verfügt über ein sehr gutes Vermögen Hunde zu "lesen" und uns Halter darin entsprechend  zu schulen.

Wir arbeiten heute mit Signalen, die langsam und klar aufgebaut werden. Zunächst  übten wir alleine, dann mit viel Abstand zu anderen Hunden. Dieser wird nach und nach wieder verringert, bis ein echtes Begegnungstraining erfolgen kann. Dabei wird der Mensch in der Praxis mehr geschult als der Hund. Zwei Theorieseminare bei unserer Trainerin über die Adoleszenz und das Verhalten halfen zusätzlich die Hintergründe besser zu verstehen.

Ich bin sehr froh Baju nicht gechipt zu haben, denn sein Verhalten ändert sich nun zusehens, auch oder gerade ohne Beeinflussung der Hormone.
Auch andere Leute sehen Bajus Verhaltensänderung deutlich. Wir sind noch nicht am Ziel, doch auf einem guten Weg. Besonders kommt mir entgegen, dass ich ohne laute Worte oder rucken an der Leine auskommen kann und Baju viele Frustrationen erspare. Und wenn er mal frustriert ist, weil er nicht so darf, wie er will, weiß ich, wie ich in wieder aufmuntern kann. Somit erlebt Baju mich viel positiver als früher. Bajus Verhältnis zu mir verändert sich. Er verläßt sich mehr auf mich.

Ein Kromfohrländer lernt schnell. Baju baut aufgrund eines neuen Signals rasch eine Verhaltenskette auf. Damit ist gemeint, dass er das unerwünschte Verhalten absichtlich zeigt um es dann selbständig zu beenden, damit er seine Belohnung für den Verhaltensabbruch bekommt. Das ist natürlich nicht das Lernziel, denn Baju soll das unerwünschte Verhalten gar nicht mehr zeigen. Ohne fachkundige Hilfe war ich davon irritiert und wußte auch nicht, wie ich diesem Dilemma entkommen kann.

Nach einer Weile guter und erfolgreicher Trainingsarbeit, kann es vorkommen, dass der kleine Schlingel sich gegen das neu Gelernte stemmt und auf einmal nichts mehr davon wissen will. Er schwenkt plötzlich wieder in das alte unerwünschte Verhalten um. Es macht sich sog. "Löschungstrotz" unangenehm bemerkbar.  Auch hier bewährt sich ein erfahrener Trainer, der in der Lage ist diese Situation einzuschätzen und Hilfestellung zu leisten.

Ich habe weiterhin gelernt, dass man keine "Runde" gehen muss, lieber trete ich den Rückzug an oder weiche weit zur Seite aus, wenn uns ein Hund entgegen kommt, den Baju nicht so nah bei sich mag. Anfeindungen anderer Hundebesitzer, die unser Verhalten nicht verstehen und entsprechend negativ kommentieren, kann ich heute einfach ignorieren.  Schnüffeln ist sehr wichtig für Baju und bildet auch eine der alternativen Verhaltensweisen, die ich ihm statt einer Rüpelei anbiete. Wenn wir Ball oder Frisbee spielen, weiß ich, wie ich Baju ruhig und nicht aufgeputscht aus dem Spiel hole. Ein ruhiger Baju begegnet seinen Artgenossen und anderen Reizen viel gelassener.

 

Nun freue ich mich auf unser wöchentliches Training in der Hundegruppe. Daran war vor einem Jahr nicht zu denken. Bald werden wir mit Mantrailing oder Ähnlichem anfangen. Ich muss mich bei der Auswahl der Kurse an den angebotenen Zeiten orientieren, weil ich am Abend unterrichte und kann mir daher Art der Beschäftigung nicht so gut aussuchen. Baju wird das egal sein. Er freut sich jedesmal sehr, wenn wir etwas zusammen unternehmen. Ich bin für ihn inzwischen eine gute Entertainerin, die ihm Abwechslung, Sicherheit und Rückzugsmöglichkeiten bietet.

Also, liebe Rüdenbesitzer, mit der viel beschworenen "Konsequenz" kommt ihr nicht weit, wenn ihr nicht wisst, welche genauen Punkte ihr bei Eurem Kromirüden ansprechen müsst. Spätestens wenn Euer Liebling R(r)üde wird, lohnt sich die Suche nach einem einfühlsamen Trainer. Bis zum Erfolg Eures Trainings wird es etwas dauern, aber ihr werdet dafür reich belohnt! Auf den Chip könnt ihr auch verzichten, investiert das Geld lieber in ein paar gute Trainingsstunden!

So, genug davon, jetzt wird gekuschelt. Die Schmuseeinheiten haben uns über die ganze Zeit begleitet und wir genießen sie immer noch sehr!